Erklärt durch eine Predigt (gekürzte Fassung) an Epiphanias 06.01.2002
von Vikarin Christine Walter.
Wir schreiben das Jahr 1768. Geradstetten bekommt eine neue Orgel, die Gemeinde war so angewachsen, dass Altarraum der Konradskirche um 1950bei ihrem Gesang, die alte Orgel kaum zu hören war. Natürlich sollte die neue Orgel besonders schön und deshalb bemalt und verziert werden. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch fast, als im Herbst 1769 Hagel, Frost und Überschwemmungen fast die gesammte Ernte vernichteten. Doch die Geradstetter gaben nicht auf, standen zusammen und wandten sich an Herzog Carl Eugen. Von ihm erbaten sie einen "mildfürstlichen Beytrag" und so konnte wenig später der Kunstmaler Bernhard Schnaible beauftraget werden, die neu aufgestellte Orgel zu bemalen. Bei dieser Gelegenheit fertigte der Maler auch 6 Bilder für die Orgelempore, das sog. "Brustgetäfer" an. Auf alten Bildern, die mir manchmal bei meinen Besuchen begegnen, kann man noch sehen, dass die 4 Evangelisten, Christus und Paulus einst vorne an der Orgel hingen (1770).
Der Maler hat die 4 Evangelisten mit ihren Symbolen dargestellt.
Bei Matthäus sehen wir einen Menschen mit Flügeln, bei Markus einen Löwen, bei Lukas einen Stier, bei Johannes einen Adler. Merkwort: ELSA:
E für Engel (ursprl ein Mensch mit Flügeln), S für Stier, L für Löwe und A für Adler in der Reihe wie die Bücher in der Bibel stehen.
Doch woher kommen diese Symbole? Was hat den Matthäus mit einem Engel zu tun oder Markus mit einem Löwen?
Schauen wir in der Bibel nach, dann stoßen wir auf den Propheten Hesekiel. Er lebte in der Zeit als Israel in Babylonien im Exil wohnen musste. Täglich liefen die Israeliten an den Tempeln der fremden babylonischen Religion vorbei. Dort waren kosmische, geflügelte Wesen, oft halb Tier, halb Mensch, die den Thron eines Gottes trugen und ihn bewachten. Die Menschen damals stellten nämlich vor, dass die Welt auf einem großen Meer ruhte und von vier Pfeilern, den vier Himmelsrichtungen getragen wird. In den vier Himmelsrichtungen befanden sich die vier Sternbilder Mensch, Stier, Löwe und Adler und so wurde die vier Säulen, die die Welt rugen dargestellt als Mensch, Löwe, Stier und Adler.
Die vier Lebewesen sollten jedoch zudem die höchsten Natur-und Lebenskräfte, die in der Welt regierten und die die Welt erhalten verkörpern: Der Löwe ist gewaltig, mutig und unbezwingbar, das Rind zäh und ausdauernd, der Adler hat einen Scharfen Blick und fliegt am höchsten, der Mensch aber kann denken, fühlen und hat einen eigenen Willen.
Als Hesekiel dann die Vision der Herrlichketi und des Thrones Gottes hat, beschreibt er was er sieht in solchen Bildern, die die Israeliten kennen, weil sie täglich ähnliche Bilder an babylonischen Tempeln und Palastwänden begegnen. Hesekiel berichtet:
"Ich sah etwas wie vier Gestalten, die anzusehen waren, wie Menschen" "Ihre Angesichter waren vorn gleich einem Menschen und zur rechten Seite gleich einem Löwen bei allen vieren und zur linken Seite gleich einem Stier bei allen vieren und hinten gleich einem Adler bei allen vieren." (Hes 1,5ff).
Hesekiel greift also die Bilder seiner Umgebung auf - und doch gibt er ihnen eine ganz andere, ganz neue Bedeutung: Die Thronwächter tragen nun den Thron JHWHs des Gottes Israels, der die Welt schuf und der sie erhält. Auch die Sternbilder in den vier Himmelsrichtungen zeigen nun, wer der wahre Herrscher der Welt ist und dass seine Macht in alle Himmelsrichtungen bis ans Ende der Welt reicht. Die Macht des Löwen ist nun Gottes Macht, das Rind veranschaulicht Gottes, dass Gott in seiner Kraft beständig und überall ist, der scharfe Blick des Adlers weist darauf hin, dass Gott allwissend ist und das Bild des Menschen ziegt, dass Gott in seiner Weisheit, seiner Erkenntnis und mit seinem Willen die Welt regiert. Es sind nicht irgendwelche Naturkräfte, die die Welt regieren, sondern es ist Gott, dessen Herrlichkeit die Welt erfüllt und erhält. Das will Hesekiel seinem Volk mit diesen Bildern sagen.
Jahrhunderte später wissen die ersten Christen, dass Gott sich in Jesus Christus offenbart hat und so greift Johannes in seiner Offenbarung zwar die Bilder Hesekiels auf mit dem Unterschied jedoch, dass hier der menschgewordene Gottessohn Jesus Christus im Mittelpunkt seiner Vision steht:
"Um den Thron sah ich vier himmlische Gestalten... . Und die erste gesalte war gleich einem Löwen, und die zweite Gestalt war gleich einem Stier und die dritte Gestalt hatte ein Antlitz wie ein Mensch, und die vierte Gestalt war gleich einem fliegenden Adler. Und jede der Gestalten hatte 6 Flügel und sie waren außen und innen voller Augen und sie hatten keine Ruhe Tag und Nacht und sprachen: "Heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt." (Off 4,6ff).
Wenig später wurden diese Gestalten aus der Johannesvision, die Gott tragen, ihn mit ihren Augen erkennen und deren Mund Gott unablässig loben mit den Evangelisten identifiziert. Denn die Verfasser der vier Evangelien sind es, die uns die Kunde von Jesus Christus zu uns tragen, die mir ihren Augen,ohren und ihrem Herz Christus erkannten und ihn mit ihrem Mund und ihren Worten unablässig loben. So macht auch Johannes das Bild der vier Gestalten uns etwas deutlich:
Wir können Gott in den Worten der Evangelisten erkennen. Und deshalb legen wir ja auch die Bibel und darin ihre Evangelien von Jesus Christus auf den Altar. Hier in und durch ihr Wort erscheint uns heute Jesus Christus als König der Welt erscheint - was wir ja heute am Erscheinungsfest feiern: Jesu Christus als den wahren König der Welt. In der Botschaft der Evangelisten können wir diesem Herrn begegnen, in ihrem Wort offenbart er sich und wenn wir an das Bild der vier Säulen denken: Ihre Evangelien sind die Stütze seiner Herrlichkeit auf Erden, auf ihnen ruht seine Herrschaft und durch sie reicht sie bis ans äußerste Ende der Erde.
Doch warum wurde nun gerade Markus der Löwe zugeteilt? Diese Frage ist immer noch offen. Hierzu muss man wissen, dass es in der alten Welt den Brauch gab, dass wenn ein Buch aus mehreren kleinen Büchern oder Kapiteln bestand, diese nicht mit einer Überschrift oder eine Nummer versehen wurden, wie z.B. heute. Sondern man schrieb die ersten Worte des betreffenden Buches oder Kapitels darüber.
Und womit beginnt das Matthäus-Evangelium? In seinen ersten Versen stehen jede Menge Namen von Menschen, es ist der Stammbaum des Menschen Jesus von Nazareth. So ist das Zeichen für Matthäus der Mensch geworden. Durch die Vision erhielt das Symbol noch Flügel und wurde so später als Engel gesehen. Bei Markus ist es zu Beginn Johannes, der in der Wüste ruft und das Tier der Wüste ist der Löwe. Das erste Kapitel des Lukasevangeliums hingegen spricht von Zacharias, der im Tempel Jerusalems den Priesterdienst versieht, d,h, der dort auch opfert, nämlich vermutlich wie meist üblich: einen Stier. Bleibt der Adler des Johannesevangeliums: Wie der Adler in die Lüfte steigt, so schwingt sich der Hymnus des Johannesevangeliums, den wir vorher gebetet haben empor. Er preist das Wortes aus der Höhe, der Blick ist nach oben gerichtet und das Herz schwebt in der Anbetung: Am Anfang war das Wort - und wir sahen seine Herrlichkeit.
So können wir nun verstehen, wie es kam, dass Bernhard Schnaible einen Menschen mit Flügeln, einen Löwen, einen Stier und einen Adler neben die Evangelisten malte.
Doch schauen wir seine Bilder noch einmal genauer an.
Da ist Matthäus:
Der Maler hat ihn als einen der ältesten Evangelisten gemalt. Er hat bereits graues Haar und einen grauen Bart. Zu Schnaibles Zeit ging man noch davon aus, dass das Matthäusevangelium wirklich das älteste Evangelium in der Bibel ist, auch weil es an erster Stelle im Neuen Testament steht. Der Maler stellt, wie jedem seiner Evangelisten, auch Matthäus ein für ihn bezeichnendes Wort an die Seite. Auf dem Buch, das der Engel hält steht ein Wort aus dem 1.Kapitel: "Er, Jesus Christus, wird sein Volk seelig machen von ihren Sünden" (Mt 1,21). Sein Finger weist nach oben und in die Zukunft, als weise er Matthäus darauf hin: "Sieh Matthäus: Er, Jesus Christus, wird sein Volk seelig machen von ihren Sünden. Das ist deine Botschaft, die du der Welt verkünden sollst." Und Matthäus blickt ihn an, wobei er mit der rechten Hand auf sich selbst deutet: "Ich? Durch mich?", scheint er zu fragen.
So war es zu keiner Zeit leicht, die Botschaft Gottes weiterzutragen und vielleicht zweifelten selbst die Apostel und Evangelisten manchmal an ihrer Kraft und ihren Fähigkeiten, aber der Engel scheint Matthäus zu sagen, was wir in der Schriftlesung gehört haben und was dort Jesus seinen Jüngern beim Abschied und uns heute sagt: "Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der wird euch fähig machen, überall als meine Zeugen aufzutreten in Jerusalem und in ganz Judä, in Samarien und bis ans äußerste Ende der Erde." (Apg 1,1-8) Matthäus war und ist ein solcher Zeuge.
Betrachten wir das Bild des Markus.
Ihn Schnaible als den zweit Ältesten gemalt, mit schon hoher Stirn, Geheimratsecken, wie man auch sagt. Heute wissen wir, Mk ist eigentlich das älteste Evangelium des NT. Der Evangelist scheint eifrig zu schreiben, seine Wangen glühen. Ob der den Löwen neben sich überhaupt bemerkt. Die Botschaft die er in sein Buch geschrieben hat ist ihm ungeheur wichtig. Er hält sie, sein Buch uns vor Augen. Dort steht in einen Satz zusammengefasst, was er den Menschen sagen will und warum er sein Evangelium so eifrig schreibt: Tut Buße und glaubt an das Evangelium (Mk 1,15). Es sind zugleich die ersten Worte Jesu an die Menschen: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium.
Das Buch des Evangelisten Lukas liegt auf dem Pult.
"Des Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.(Lk 19,10)"
So lesen wir es dort. Lukas hat im Schreiben innegehalten und es ist als ob er zu jemandem spricht. Der Zeigefinger seiner linken Hand ist mahnend, erklärend und hinweisend erhoben. Ja, er hat in seinem Evangelium, in den Geschichten vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Sohn immer wieder deutlich gemacht: Jesus sitzt gerade mit den Sündern zu Tisch, er sucht, was verloren ist oder sich verloren glaubt. "Des Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist." Das Ist seine Botschaft, die er uns nahebringen will.
Schauen wir zuletzt auf das Bild von Johannes:
Johannes ist der Jüngste auf unseren Bildern. Er trägt kindliche Züge. Er blickt dem Adler nach, der sich in die Lüfte erhebt. Der Adler schwebt dem Licht entgegen. Das Licht kommt aus der Höhe zu. Es bricht in das in das Dunkel der Erde im unteren Bildteil..
So sagt es auch der Wochenspruch aus dem Johannesbrief:
"Die Finsternis vergeht und das wahre Licht erscheint jetzt." (1.Joh 2,8).
Das ist auf diesem Bild zu sehen und das ist es auch, wovon das Johannesevangelium redet: Jesus, das Licht der Welt. Und der Johannesbrief aus dem der Schriftzug entnommen ist greift das auf: Wir haben einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus (1.Joh 2,1)
Ja deshalb muss keiner mehr für immer im Dunkel bleiben. Auch wenn manches aufder Erde noch finster ist und unbegreiflich - gottes Licht ist doch schon in die Welt hereingebrochen - darin will uns dieses Bild vergewissern.
Bernhard Schnaible hat in seine Bildern versucht, uns etwas über die Evangelisten und ihre Botschaft zu erzählen, ja ihre Botschaft gleichsam im Bild sprechen zu lassen. Dabei hat er die Botschaft jedes Evangelisten in seiner Eigenart eingefangen.
Denn die Evangelisten lebten in unterschiedlichen Gegenden, hatten jeder eine eigene Gemeinde vor Augen, mit ihren Problemen, Sorgen und Nöten und für sie schrieben sie.
So Gott spricht nicht nur durch einen Mund, sondern schon damals in verschiedene Situationen auf verschiedene Art und Weise.
Gottes Wort ist vielfältig und dennoch nicht beliebig. Es wirkt Erkenntnis des Menschen, ist mächtig wie ein Löwe, kraftvoll wie ein Rind und erhebt uns aus dem Dunkel der Welt ins Licht.
So werden wir die vier Evangelisten wieder aufhängen, als Erinnerung an ihre Botschaft und daran, dass sie, dass ihr Wort es ist, durch das Gott zu uns spricht. Und Gott spricht dieselbe eine Botschaft der Liebe und der Versöhnung in die verschiedenen Situationen unseres Lebens, durch verschiedene Menschen und an vielen Orten, bis ans Ende der Welt spricht. Auch daran wollen uns die vier Bilder erinnern.
Keine Drachen also oben am Chorbogen, sondern Löwe und Stier, Adler und Mensch an den Stützen unserer Kirche, die Evangelisten als tragende Pfeiler der Herrschaft Gottes auf der Erde. Mögen ihr Anblick uns ermuntern ihre Botschaft weiterzutragen bis ans äußerste Ende der Erde.
Amen.